Aufruf zur Diskussion

Wie manche von Ihnen vielleicht wissen: MNU arbeitet an einem Europäischen Referenzrahmen Biologie. So sitze ich momentan an der Formulierung von biologischen Kompetenzen eines Menschen, die dieser auch lange nach der Schulzeit beherrschen sollte. Wie zum Beispiel die Aussage - ein Dogma der Biologie - alle Tochterkerne/-zellen seien genetisch identisch.

Nun lese ich in der ZEIT 42/2015 (15.10.15, S. 39/40) folgendes „schmutziges Geheimnis“: „Das Lehrbuchwissen, nach dem alle Körperzellen eines Menschen ein identisches Genom beherbergen, erweist sich als fundamentaler Irrtum.“ Dank neuer Dekodierverfahren (drop seq[1]) wurde das lange übersehene Geheimnis[2] entlarvt: „In Wahrheit gleicht wohl keine Zelle der nächsten!“

Der Neurogenetiker Fred Cage dechiffrierte, dass 40 Prozent der Nervenzellen genetisch verändert sind. Sei Kollege Christopher Walsh vermutet, dass jede einzelne Nervenzelle mehr als 1500 Mutationen enthält. Mutationen, die bereits bei der ersten Zellteilung im befruchteten Ei und bei jeder weiteren Teilung auftreten, besonders krass im sich entwickelnden Gehirn. Das Denkorgan ist also ein genetischer Flickenteppich. Populationsgenetik im Großhirn. Der Körper, ein Patchwork aus Zellverbänden mit diversen Genausstattungen. Ein durch Zufall erzeugtes Mosaik aus vielen Genomen. Our Fallen Genome[3]. Ein Symposium Mitte September am EMBL Heidelberg thematisierte The Mobile Genome[4].
Stehen wir in der Genetik vor einem relativistischen Zeitalter, vor einer Revolution[5]? Auf jeden Fall wird alles komplizierter in der Biologie – und interessanter! Auch in der Medizin, denn die Erforschung und Therapie von Krankheiten kann nicht mehr von dem Genom in einem Gewebe ausgehen. Wen erzeugen Forscher eigentlich, wenn sie eine menschliche Zelle klonen? Damit sind auch ethische und philosophische Fragen angesprochen: Was ist der Mensch, wenn er keine genetische Identität besitzt? Wie (genetisch) ähnlich sind sich tatsächlich eineiige Zwillinge? Welchen Einfluss haben Umwelt und Entwicklung?

Wie bei der „Entdeckung“ der Epigenetik stellen sich für die Schulbiologie grundsätzliche Fragen. Sind wir dank der nun in der Wissenschaft diskutierten Forschungsergebnisse gezwungen, die gesamte klassische und moderne Genetik auf den Müll zu werfen? Diskutieren Sie mit!

Jürgen Langlet (18.10.2015)


[1] http://mccarrolllab.com/dropseq/

[2]/5 eine Anomalie eines Paradigmas kann nach Thomas Kuhn: „The Structure of Scientific Revolutions. 1962, zu einer Revolution der Wissenschaft führen.

[3] http://www.sciencemag.org/content/342/6158/564.short

[4] http://www.embo-embl-symposia.org/symposia/2015/EES15-05/

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