Ist eine polare Bindung notwendig für eine Säure? - Analyse einer verbreiteten Behauptung
Vortragende/r: Dr. Holger Fleischer
Institution:Scheffold-Gymnasium
Datum:06. März 2021
Zeit:11:00 - 11:45 Uhr
Raum:R02

Die Erklärung der Acidität eines Moleküls HA durch die Polarität einer Element-Wasserstoff-Bindung („Polaritätskonzept“) ist nicht tragfähig. Die Analyse der Protolyse verschiedener Säuren HA mit der Base H2O in einem thermodynamischen Kreisprozess zeigt drei wesentliche Beiträge, die für Aciditätsunterschiede verantwortlich sind:

Die freie Standardbindungsenthalpie, DBG0(H-A),
die freie Standardhydratationsenthalpie der korrespondierenden Base A-, DhydG0(A-),
und die Ionisierungsenergie von A-, IE (A-).

In vielen Fällen steigt der Betrag von DBG0(H-A), d.h. die Bindungsstärke der Element-Wasserstoff-Bindung, mit deren Polarität. Das steht dem Polaritätskonzept entgegen. Je größer hingegen IE(A-), desto stabiler ist A- und umso acider ist HA. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass IE(A-) mit der Möglichkeit zur Delokalisierung der negativen Ladung zunimmt. Eine Analyse der Orbitale von CH3- , NH2- , OH- und - zeigt, dass die Delokalisierung der Valenzelektronen und damit auch der negativen Ladung in dieser Reihe zunimmt.

Dieser Effekt, und nicht die Polarität der H-A-Bindung, bedingt den Anstieg der Acidität in der Reihe CH4 – NH3 – H2O – HF. Die Delokalisierung der negativen Ladung lässt sich mit dem Kugelwolkenmodell im bereits im Chemieunterricht der Sekundarstufe 1
anschaulich darstellen. Daher wird ein „Delokalisierungskonzept“ statt des
„Polaritätskonzepts“ zur Vorhersage und zur Erklärung unterschiedlicher Säurestärken
vorgeschlagen.

OStR Dr. Holger Fleischer, Scheffold-Gymnasium Schwäbisch Gmünd,
E-Mail: fleischerh@sg.gd.schule-bw.de